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Gesetzliche Unfallversicherung 
20.03.2024

LSG Baden-Württemberg: Versicherter Arbeitsweg oder nicht versicherter Abweg?

ESV-Redaktion Recht
LSG Baden-Württemberg: Gehen Kinder gemeinsam in sogenannten „Laufgruppen“ zur Schule, befinden sie sich nicht in „fremder Obhut“ im Sinne von § 8 Absatz 2 Nr. 2 a ) SGB VII (Foto: PhotoArtBC / stock.adobe.com)
Greift die gesetzliche Unfallversicherung, wenn ein Elternteil auf dem Weg zur Arbeit zunächst sein Kind zu einem Treffpunkt bringt, von dem aus mehrere Schulkinder den restlichen Weg zur Schule antreten und der Elternteil auf dem Rückweg zu seinem Arbeitsweg verunglückt? Mit dieser Frage hat sich das LSG Baden-Württemberg befasst.


In dem Streitfall hatte die Klägerin ihre Tochter im Grundschulalter in Stuttgart zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet. An diesem traf sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg. Der Treffpunkt lag – von der Wohnung der Klägerin aus gesehen – in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte.
 
Auf ihrem Weg vom Sammelpunkt zur Arbeit wurde die Klägerin von einem Auto erfasst. Trotz einer roten Fußgängerampel hatte sie eine Straße überquert und erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche. Der Unfallort lag noch vor dem Wegstück von ihrer Wohnung zur Arbeit.
 
Weil die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, klagte die Mutter erfolgreich vor dem SG Stuttgart. Sie hatte sich darauf berufen, dass sie ihre Tochter aus Sicherheitsgründen bis zum Sammelpunkt begleiten müsse. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung wendete die Unfallversicherung mit einer Berufung an das LSG Baden-Württemberg.

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LSG Baden-Württemberg: Sachlicher Zusammenhang zwischen Unfall und betrieblicher Tätigkeit nicht gegeben

Die Berufung der Unfallversicherung hatte Erfolg. Der 10. Senat des LSG Baden-Württemberg hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Der Anspruch der Klägerin scheiterte dem Senat zufolge an der Zurechnung des Unfalls zur versicherten Tätigkeit. Die weiteren wesentlichen Erwägungen des Senats:
 
  • Kein sachlicher Zusammenhang mit Betriebstätigkeit: Zwar befand sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeit. Die Überquerung der Straße am Unfallort erfolgte aber nicht auf dem unmittelbaren Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit. Damit fehlt der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit der Mutter.
  • Unfall auf Abweg: Bewegt sich die versicherte Person nicht auf einem direkten Weg in Richtung ihres Ziels, sondern zunächst in entgegengesetzter Richtung von dem Ziel weg, liegt ein Abweg vor und kein bloßer Umweg mehr, so der Senat. Der direkte Weg wurde nämlich mehr als geringfügig unterbrochen, sodass aufgrund der nun rein eigenwirtschaftlichen Tätigkeit kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz bestand.
  • Keine neue Begründung des Unfallversicherungsschutzes: Weil die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls den unmittelbaren Weg zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht hatte, konnte der Versicherungsschutz auch nicht wieder aufleben.
  • Keine Ausnahme: Ebenso wenig sah der Senat eine Ausnahme. Die Klägerin hatte ihre Tochter nämlich nicht deshalb zum Sammelpunkt begleitet, um zu ihrer Arbeit zu gelangen. Vielmehr waren Ihre Beweggründe ausschließlich von allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter geprägt. Daher fehlte jeglicher kausale Zusammenhang zwischen ihrer Beschäftigung und dem Begleiten der Tochter, so der Senat hierzu.
  • Kein „Anvertrauen in fremde Obhut“: In der Begleitung ihrer Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von dem aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg fortsetzten, sah der Senat auch kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne von § 8 Absatz 2 Nr. 2 a ) SGB VII (siehe unten),.
Quelle: PM des LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2024 zum Urteil vom 22.02.2022 – L 10 U 3232/21


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Verlagsprogramm  Weitere Nachrichten aus dem Bereich Recht 

 
Im Wortlaut: § 8 Arbeitsunfall SGB VII - Absätze 1 und 2 Nr. 1 und 2a) 

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.
 
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
 
1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
 
2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
 
a)       Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
 
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