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SGB XI C 401

Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes
zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen,
die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben
(Kostenabgrenzungs-Richtlinien) nach § 17 Abs. 1b SGB XI

vom 16.12.2016

Der GKV-Spitzenverband1 hat unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen

auf der Grundlage von § 17 Abs. 1b SGB XI

am 16. 12. 2016 die nachstehenden Richtlinien zur Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat, beschlossen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat die geänderten Richtlinien mit Schreiben vom 6. Januar 2017 mit Auflagen genehmigt.

1  Präambel

Ziel der Richtlinien ist es, die Kostenabgrenzung bei gleichzeitiger Erbringung von medizinischer Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V und körperbezogenen Pflegemaßnahmen im Sinne von § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft in Fällen eines besonders hohen behandlungspflegerischen Bedarfs zu regeln.

Für die Kostenaufteilung zwischen Kranken- und Pflegekassen wurden bis zum 31. 12. 2016 Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) herangezogen, die den anhand des bis dahin geltenden Begutachtungsverfahrens erhobenen Zeitaufwand der von der Pflegekasse zu übernehmenden „reinen“ Grundpflege ausweisen. Da der Zeitaufwand ab dem 1. 1. 2017 im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht mehr festgestellt wird, kann das Gutachten künftig nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kostenträgerschaft herangezogen werden. Daher hat der GKVSpitzenverband nach § 17 Abs. 1 b SGB XI unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverband Bund der Krankenkassen Richtlinien zur Feststellung des durch die Pflegeversicherung zu tragenden Zeitanteils zu erlassen.

Diese Richtlinien regeln, nach welchem Verfahren die Zeitanteile zur Abgrenzung der Kosten zwischen SGB V und SGB XI ab dem 1. 1. 2017 festgestellt werden.

2  Vorgaben des Gesetzgebers

Gemäß § 17 Abs. 1b SGB XI hat der GKV-Spitzenverband Richtlinien zur Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat, zu erlassen. Von den Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI sind dabei nur Maßnahmen der körperbezogenen Pflege zu berücksichtigen. Es ist darauf zu achten, dass die bisherige leistungsrechtliche Zuordnung von Maßnahmen zur Pflegeversicherung und Krankenversicherung unter Umsetzung der Vorgaben der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. 6. 2010 (B 3 KR 7/09 R) unverändert bleibt. In der Gesetzesbegründung zu § 17 Abs. 1b SGB XI wird sowohl eine pauschale als auch eine einzelfallbezogenen Feststellung des durch die Pflegeversicherung zu tragenden Zeitanteils in Erwägung gezogen.

3  Geltungsbereich

Diese Richtlinien umfassen Fälle von ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V sowie Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft beziehen.

Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt vor, wenn rund um die Uhr, also 24 Stunden am Tag, die Anwesenheit/Interventionsbereitschaft einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft und zur Durchführung der notwendigen behandlungspflegerischen Maßnahmen erforderlich ist, da wegen der Schwere und Dauer der Erkrankung akute gesundheits- oder lebensgefährdende Veränderungen der Vitalfunktionen mit der Notwendigkeit zur sofortigen medizinischen Intervention zu unvorhersehbaren Zeiten wiederkehrend eintreten können (sog. „Intensivpflege“). Einem 24-Stunden-Bedarf in diesem Sinne steht nicht entgegen, wenn die Versorgung stundenweise anderweitig, z. B. durch Angehörige, übernommen wird.

4  Verfahren bis 31. 12. 2016

Für Versicherte mit einem rund-um-die-Uhr bestehenden Intensivpflegebedarf hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 17. 6. 2010 (B 3 KR 7/09 R) entschieden, dass bei gleichzeitigem Erbringen von medizinischer Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V und Grundpflege (sowie ggf. hauswirtschaftlicher Versorgung) nach § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft die beiden Leistungsansprüche grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Kosten für die Zeiten gleichzeitiger Erbringung sind somit zu gleichen Teilen von der Kranken- und Pflegekasse zu übernehmen.

Auf dieser Grundlage erfolgte die Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegekasse bis zum 31. 12. 2016 wie folgt:

In Fällen der über 24 Stunden täglich erforderlichen häuslichen Krankenpflege hatte der MDK den zeitlichen Aufwand der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zu bemessen. Dieser Zeitaufwand pro Tag wurde von dem Gesamtumfang aller Hilfeleistungen bei der Grundpflege abgezogen. Daraus ergab sich der Zeitanteil der von der Pflegekasse geschuldeten „reinen“ Grundpflege (= Grundpflege ohne verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen). Da während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als spezielle Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinander stehen, wurde der so ermittelte Zeitwert der „reinen“ Grundpflege nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete, über 24 Stunden täglich erforderliche Behandlungspflege (einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen) abgezogen. Sofern die hauswirtschaftliche Versorgung von derselben Pflegekraft erbracht wurde, erfolgte ebenfalls ein hälftiger Abzug. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege, der Hälfte des zeitlichen Umfangs der „reinen“ Grundpflege sowie der Hälfte des Umfangs der hauswirtschaftlichen Versorgung (sofern abzugsfähig) ergab sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hatte. Die Pflegekasse hatte die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der „reinen“ Grundpflege und ggf. die Hälfte der hauswirtschaftlichen Versorgung zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe. Reichte der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, hatte der Versicherte den verbleibenden Differenzbetrag aus eigenen Mitteln aufzubringen; gegebenenfalls war der Sozialhilfeträger eintrittspflichtig.

5  Verfahren ab 1. 1. 2017

Vor dem Hintergrund, dass die Regelungen der §§ 14, 15 SGB XI keine zeitorientierte und verrichtungsbezogene Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit mehr vorsehen, wird der durch die Pflegeversicherung zu tragende Anteil pauschal festgelegt. Dabei wird jedem Pflegegrad ein bestimmter Minutenwert zugeordnet, für den die Pflegeversicherung aufzukommen hat. Grundlage hierfür sind die den Kranken- und Pflegekassen in 2016 vorliegenden Daten (sog. „Bestandsfälle“) bezogen auf die Zeitaufwände der „reinen“ Grundpflege unter Berücksichtigung der jeweils zuerkannten Pflegestufe. Die ermittelten Minutenwerte entsprechen den Zeitanteilen, die nach dem bis 31. 12. 2016 gültigen Verfahren (vgl. Abschnitt 4) vom verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege abzuziehen waren. Unter Beachtung der Überleitungsregelung nach § 140 Abs. 2 SGB XI wurden die ermittelten Zeitanteile der „reinen“ Grundpflege je Pflegestufe auf die Systematik der Pflegegrade übertragen. Anschließend wurden je Pflegegrad Mittelwerte errechnet. Daraus ergeben sich die unter Ziffer 6 dargestellten pauschalen Minutenwerte. Durch das so entwickelte Verfahren wird sichergestellt, dass die bisherige leistungsrechtliche Zuordnung von Maßnahmen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung unverändert bleibt. Zudem werden die Vorgaben der maßgeblichen BSG-Rechtsprechung zur Kostenaufteilung in Fällen der über 24 Stunden täglich erforderlichen häuslichen Krankenpflege weiterhin umgesetzt und auf die im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs eingeführten Pflegegrade übertragen.

6  Pauschale Minutenwerte

Folgende pauschale Minutenwerte sind ab dem 1. 1. 2017 für die Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung, die Kosten zu tragen hat, in den unter 3. beschriebenen

Fällen zu Grunde zu legen:

Pauschale Minutenwerte:
Pflegegrad 2 37
Pflegegrad 3 76
Pflegegrad 4 104
Pflegegrad 5 41

Die oben genannten pauschalen Minutenwerte sind bei gleichzeitiger Erbringung von medizinischer Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V und körperbezogenen Pflegemaßnahmen im Sinne von § 36 SGB XI durch dieselbe Pflegekraft vom Zeitaufwand, den die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen hat, in Abzug zu bringen. Wenn die Versorgung stundenweise anderweitig, z. B. durch Angehörige, übernommen wird, sind die pauschalen Minutenwerte anteilig nach kaufmännischer Rundung in Abzug zu bringen.

7  Übergangsregelungen

In den Fällen, in denen bereits vor dem 1. 1. 2017 eine Kostenabgrenzung auf Grundlage der bis dahin durch den MDK erhobenen Zeitwerte für die „reine“ Grundpflege vorgenommen wurde, bleibt es auch nach dem 1. 1. 2017 bei der Berücksichtigung der dort festgestellten Minutenwerte. Das im Rahmen dieser Richtlinien unter 5. und 6. beschriebene Pauschalmodell findet daher nur bei Versicherten, die ab dem 1. 1. 2017 erstmals Sachleistungen der Pflegeversicherung beantragen, oder bei Versicherten, die am 31. 12. 2016 bereits entsprechende Leistungen erhalten haben und bei denen ab dem 1. 1. 2017 eine erneute Begutachtung erfolgt (z. B. Änderungsbegutachtung, Wiederholungsbegutachtung), Anwendung.

8  Inkrafttreten.

Die Richtlinien treten am 1. 1. 2017 in Kraft.


   1   Der GKV-Spitzenverband ist der Spitzenverband Bund der Pflegekassen gemäß § 18b SGB XI.

 

 




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