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Neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit 
26.01.2017

Aufterbeck: „Trotz Fortschritts noch Korrekturbedarf”

ESV-Redaktion Recht
Die neuen Regelungen zur Pflege: Mehr Prävention, weniger Defizitorientierung (Foto: Kzenon/Fotolia.com)
Seit dem 01.01.2017 gilt ein neuer Begriff der sozialrechtlichen Pflegebedürftigkeit. Eingeführt hat diesen das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II). Der Jurist Jan Aufterbeck zeigt in der Fachzeitschrift SGb 01/2017 die wesentlichen Neuerungen auf.

Die bisherige Pflegebedürftigkeit

Nach § 14 Absatz 1 SGB XI a.F. war pflegebedürftig, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe brauchte, so Aufterbeck einleitend. Die Hilfebedürftigkeit musste mindestens sechs Monate andauern. Dabei stammten die maßgeblichen Verrichtungen aus den Kategorien der Körperpflege, Ernährung, Mobilität und der häuslichen Versorgung.

Der neue Begriff

Nach dem neuen §§ 14 Absatz 1 Satz 1 SGB XI ist dieser Begriff nun legal definiert. Pflegebedürftig sind danach Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder ihrer Fähigkeiten haben und deshalb Hilfe von Dritten brauchen. Konkretisiert werden die Begriffe der Selbstständigkeit und Fähigkeiten durch die Lebensbereiche nach § 14 Absatz 2 in den Nummern 1 bis 6.

Die Lebensbereiche nach § 14 Absatz 2 SGB XI
  • Mobilität
  • Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  • Selbstversorgung
  • Selbstständiger Umgang mit bestimmten krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Innerhalb dieser Lebensbereiche muss nun eine Beeinträchtigung vorliegen. Der Katalog ist dem Willen des Gesetzgebers zufolge abschließend.

Pflegefachliche Kriterien statt Beeinträchtigung bei einer Verrichtung

Damit, so Aufterbeck weiter, verzichtet die Neuregelung vollständig auf die Beeinträchtigung bei einer Verrichtung im Sinne von § 14 Absatz 2 SCG XI a.F. Vielmehr müssen die Beeinträchtigungen der neuen Regelung zufolge nach pflegefachlichen Kriterien vorliegen.

PSG II korrigiert Ungleichbehandlungen

Das PSG II, so Aufterbeck, habe auch ungerechtfertigte Ungleichbehandlung beseitigt: 
  • Psychische Krankheiten und Behinderung berücksichtigt: Mit der Neuregelung würden nun auch psychische Krankheiten und Behinderungen unmittelbar Gegenstand im Sinne von des neuen §§ 14 SGB XI. Betroffene Personen wären damit nicht mehr auf Ersatzleistungen im Sinne der Altregelungen nach 45a ff. SGB XI a.F. angewiesen.
  • Kommuniktionsfähigkeit erfasst: Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Autor bei der Berücksichtigung der Kommunikationsfähigkeit. Der neue § 14 Absatz 2 Nr. 2 SGBXI umfasse ausdrücklich auch das Merkmal der Kommunikation. Diese Lösung hält der Verfasser im Ergebnis zumindest für befriedigend. 
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Neues Begutachtungsassessment bei Bestimmung des Schweregrades

Wesentlich kritischer sieht er die Situation bei der Ermittlung des Pflegegrades. Dieser ersetzt die bisherigen Pflegestufen nach § 15 SGB XI a.F.

Nach der Neuregelung wird der Pflegegrad nach der Feststellung zugordnet, dass die Voraussetzungen des neuen §§ 14 Absätze 1 und 2 vom Grunde her gegeben sind. Die Schwere der Beeinträchtigung ist dann nach dem Neuen Begutachtungsassessment (NBA) im Sinne des aktuellen §§ 15 SGB XI festzustellen. Absatz 3 Satz 3 dieser Regelung benennt hierzu fünf Grade der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit:

Die neuen Pflegegrade
  • Geringe Beeinträchtigung 
  • Erhebliche Beeinträchtigung
  • Schwere Beeinträchtigung
  • Schwerste Beeinträchtigung
  • Schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
 

Mehr Präventation statt Defizitorientierung

Ebenso wolle sich der Gesetzgeber weniger an den reinen Defiziten der Betroffenen orientieren. Stattdessen solle der Präventionsgedanke gestärkt werden, so Aufterbeck weiter. Dies zeige sich dadurch, dass die Anforderungen an den ersten Pflegegrad im Vergleich zu den bisherigen Pflegestufen deutlich geringer sind. Der Gedanke dahinter ist, dass mit der früheren Inanspruchnahme einer Pflegeleistung auch die Präventation früher ansetzen kann, um Verschlimmerungen zu vermeiden.

Pflegegrad nicht greifbar genug

Zwar hält er die Neuregelung für einen großen Fortschritt. Aufterbeck sieht aber dennoch Korrekturbedarf. Hierzu meint er wörtlich:
„Der unbestimmte Rechtsbegriff des Grades der Selbstständigkeit und Fähigkeiten ermöglicht keine rechtssichere Gewichtung der einzelnen Kriterien”.

So wäre es denkbar, dass ein und dasselbe Kriterium von Fall zu Fall unterschiedlich gewichtet wird. Weder aus den pflegefachlichen Kriterien noch aus den NBA ergebe sich, welche Umstände wie zu gewichten sind. Hier wünscht er sich, dass der Gesetzgeber noch Konkretisierungen vornimmt, die die Handhabung des neuen Begriffs der Pflegebedürftigkeit rechtsicherer machen.  

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fachzeitschrift SGb, Ausgabe 01/2017

Weiterführende Literatur
Der Hauck/Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch (SGB) XI: Soziale Pflegeversicherung, überzeugt mit hoher Kompetenz und seinem seit Jahrzehnten anerkannten Konzept. Das Werk enthält und veranschaulicht alle notwendigen Informationen rund um die aktuellen Regelungen und Zusammenhänge des SGB XI zum übrigen Sozialrecht mit praktischen Hinweisen und Ausgewogenheit zur wissenschaftlichen Vertiefung dieses Rechtsgebietes. 

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(ESV/bp)