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Sozialversicherung in der EU 
21.08.2017

BSG entscheidet über europäische Sozialversicherungstarife bei Arbeit in Deutschland

ESV-Redaktion Recht
BSG: Grundsätzlich gilt das Sozialversicherungssystem des Ziellandes (Foto: Stockfotos-MG/Fotolia.com)
Welche sozialrechtlichen Bestimmungen gelten, wenn ein Unternehmen mit Sitz in der EU Arbeitnehmer über lange Zeit in einem anderen Mitgliedsstaat eingesetzt hat? Hierüber hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) aktuell entschieden.

In dem betreffenden Fall hatte ein polnisches Unternehmen von ihm beschäftige Arbeitnehmer vor allem in den Jahren 2005 und 2006 in Deutschland eingesetzt. Das EU-Recht sieht für solche Fälle grundsätzlich vor, das Sozialversicherungsrecht des Arbeitsortes anzuwenden. Allerdings beantragte das polnische Unternehmen den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zwischen der beklagten „Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland” (DVKA) und der zuständigen polnischen Stelle (ZUS). Nach dieser Vereinbarung sollte für die entsandten Arbeitnehmer rückwirkend polnisches Recht maßgeblich sein. Die DVKA lehnte jedoch den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung ab. Widerspruch, Klage und Berufung des Unternehmens hatten keinen Erfolg.

Kläger: Nur Klage schafft effektiven Rechtsschutz

Hiergegen legte das polnische Unternehmen Revision ein. Es meint, dass es nur durch eine Klage vor deutschen Sozialgerichten effektiven Rechtsschutz erlangen könne. Allein die Bearbeitungsdauer für die Ausnahmevereinbarung habe über zwei Jahre betragen. Daher durfte es darauf vertrauen, dass eine rückwirkende Vereinbarung zustande kommen würde. Die wesentlich höheren Beiträge zur deutschen Sozialversicherung habe es nicht in seine Preise für die Leistungen einkalkuliert, die es in Deutschland erbracht hat.

Die Rechtsgrundlagen

  • Seit dem 1. Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) Nummer 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Danach gelten für Arbeitnehmer nach dem Grundsatz „lex loci labori” die sozialen Sicherungssysteme des Staates, in dem sie arbeiten. Dieses Prinzip gilt auch dann, wenn die Arbetinehmer in einem anderen Mitgliedstaat wohnen oder ihr Arbeitgeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. 
  • Besondere Regelungen gelten bei der förmlichen Entsendung von Arbeitnehmern ins EU-Ausland: Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber zur Arbeitsleistung in einen anderen EU-Staat entsandt werden, unterliegen weiterhin den Rechtsvorschriften des Entsendestaates, wenn unter anderem die Dauer der Tätigkeit 24 Monate nicht übersteigt. Bis zum 30.04.2010 betrug diese Höchstauer nur jedoch nur 12 Monate. 
Im Wortlaut - Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung (EG) 883/2004 - Ausnahmen von den Artikeln 11 bis 15
Zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Mitgliedstaaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Einrichtungen können im gemeinsamen Einvernehmen Ausnahmen von den Artikeln 11 bis 15 im Interesse bestimmter Personen oder Personengruppen vorsehen.
Im Wortlaut Artikel 17 der Verordnung (EWG) 1408/71 - Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16
Zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen können im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16 vereinbaren.

Bundessozialgericht: Kläger hat keinen Anspruch auf Vereinbarung mit der DVKA

Zwar stimmte das BSG dem Kläger insoweit zu, dass die Ablehnung einer Ausnahmevereinbarung wegen des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes gerichtlich überprüfbar ist. Allerdings sah der 12. Senat des BSG kein überragendes Arbeitnehmerinteresse, das die Verurteilung der DVKA zum Abschluss der begehrten Vereinbarung rechtfertigen könnte. Hier die wesentlichen Entscheidungsgründe:
  • Kein Wettbewerbsvorteil durch niedrige Sozialabgaben: Das Interesse, sich als ausländisches Unternehmen im Zielstaat Deutschland durch niedrigere Sozialabgaben gegenüber den in Deutschland ansässigen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, rechtfertigt keinen Anspruch auf eine Ausnahmevereinbarung. 
  • Kein Vertrauensschutz wegen langer Bearbeitungsdauer: Auch auf die lange Bearbeitungsdauer und die damit verbundene Hoffnung, dass eine Vereinbarung zustande kommen würde, konnte sich das polnische Unternehmen nicht berufen.
Quelle: PM des BSG vom 16.08.2017 zur Entscheidung vom selben Tag – AZ: B 12 KR 19/16 R
 
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(ESV/bp)