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Krankenversicherung im EU-Ausland 
05.08.2021

EuGH: EU-Bürger dürfen grundsätzlich der gesetzlichen Krankenversicherung ihres Aufnahmestaates beitreten

ESV-Redaktion Recht
EuGH: Unionsbürger aus Nicht-Herkunftsstaat müssen grundsätzlich auch dann dem gKV-System des Aufnahmestaates beitreten können, wenn sie nicht dort arbeiten (Foto: natatravel / stock.adobe.com)
Immer mehr Menschen in Europa leben nicht mehr in dem EU-Mitgliedstaat in dem sie geboren sind. Doch müssen Personen, die aus privaten Gründen in einem anderen Land der EU wohnen wollen, zwingend in die dortige gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden? Hierzu hat sich der EuGH aktuell geäußert.


Lettland lehnt Beitritt in gesetzliche Krankenversicherung (gKV) ab

Nachdem ein italienischer Staatsangehöriger nach Lettland gezogen war, wollte er sich in seiner neuen Heimat gesetzlich krankenversichern lassen. Die Behörden im Aufnahmestaat waren jedoch der Auffassung, dass er die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt – weil er weder Arbeitnehmer noch selbstständig tätig ist. Daher lehnten sie seinen Antrag auf Aufnahme in das öffentliche System der lettischen gKV ab.

Die vom Antragsteller hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Nachdem dieser auch in der Berufungsinstanz unterlag, legte er Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof in Lettland ein. Der Gerichtshof beschloss, den EuGH zur Klärung des Rechtsstreits anzurufen.

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EuGH: Verweigerung der Aufnahme in das gesetzliche Krankenversicherungssystem von Lettland verstößt gegen Unionsrecht

Konkret ging es um die Frage, ob es mit dem Unionsrecht – und insbesondere mit der Unionsbürgerschaft und der sozialen Sicherheit – vereinbar ist, dass die Aufnahme des italienischen Staatsbürgers in das lettische Gesundheitssystem abgelehnt worden ist.

Diese Frage hat der EuGH verneint. Die Große Kammer bestätigte in ihrem Urteil, dass auch Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat wohnen und dort nicht wirtschaftlich aktiv sind, Anspruch darauf haben, dem öffentlichen Krankenversicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaates beizutreten. Die wesentlichen Überlegungen der Kammer:

  • Kollisionsnormen der VO Nr. 883/2004 zwingend: Die Mitgliedstaaten müssen das geltende Unionsrecht beachten, wenn sie die Voraussetzungen für den Beitritt zu einem System der sozialen Sicherheit festlegen, so der EuGH. Konkret seien dabei die Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 883/2004 auf Leistungen der Gesundheitsversorgung für die Mitgliedstaaten zwingend. In diesem Bereich können die Mitgliedstaaten also nicht bestimmen, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind.
  • Beitritt in öffentliches gKV-System des Aufnahmestaates darf nicht verweigert werden: Ein Mitgliedstaat darf laut EuGH einem Unionsbürger nach seinen nationalen Rechtsvorschriften den Beitritt zu einem öffentlichen Krankenversicherungssystem demnach nicht verweigern.
  • Öffnung auch für nicht wirtschaftlich aktive EU-Bürger: Auch nicht wirtschaftlich aktive EU-Bürger haben dem EuGH zufolge das Recht, im Aufnahmestaat finanzierte Leistungen der Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen.
  • Aber – Festlegung von Zugangsvoraussetzungen möglich: Der unentgeltliche Beitritt eines Unionsbürgers in das gKV-System ist laut EuGH aber nicht unionsrechtlich vorgeschrieben. So können die Aufnahmestaaten den Zugang zu ihren Systemen für einen wirtschaftlich nicht aktiven EU-Bürger von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen – zum Beispiel, um zu verhindern, dass die öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten zu sehr in Anspruch genommen werden. Zugangsvoraussetzungen, wie etwa ein Entgelt, sind daher möglich. Sie müssen verhältnismäßig sein und dürfen dem beitretenden Unionsbürger keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten, betont der EuGH abschließend.
Quelle: PM Nr. 136/21 des EuGH vom 15. Juli 2021 zum Urteil vom selben Tag in der Rechtssache C-535/19



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Herausgeber: Prof. Dr. Ulrich Becker, Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer
Redaktion: Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer, Holger Menk

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(ESV/mb/bp)