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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 
15.05.2023

LSG Berlin-Brandenburg: Keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bei Leichenumbetter

ESV-Redaktion Recht
LSG Berlin-Brandenburg: Bloße Denkbarkeit einer PTBS als „Wie Berufskrankheit“ reicht bei Leichenumbettern nicht aus (Foto: MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Können Tätigkeiten eines Leichenumbetters – wie etwa die Bergung der Gebeine von Toten oder deren Exhumierung – eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) im Sinne einer sogenannten „Wie-Berufskrankheit“ auslösen, die einer Berufskrankheit (BK) gleichgestellt wäre? Hierzu hat sich das LSG Berlin-Brandenburg aktuell geäußert.


In dem Streitfall war der Kläger von 1993 bis 2005 als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit führte er in Mittel- und Osteuropa mit Schaufel und Bagger die Identifizierung und Exhumierung von Weltkriegstoten und von Toten der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren durch.
 
Seine Aufgaben bestanden unter anderem darin, die Gebeine der Toten aus den Grabanlagen zu bergen sowie Alter und Geschlecht zu bestimmen. Ebenso sollte er den Körperbau, die Größe und gefundene Gegenstände protokollieren und fotografisch dokumentieren. Soweit möglich, musste er auch die Todesursache ermitteln.
 
Seit 2005 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2017 gab er gegenüber der beklagten Berufsgenossenschaft an, dass er aufgrund seiner langen Tätigkeit unter gesundheitlichen Störungen litt, mit der Folge einer lebenslangen Behinderung und beantragte die Gleichstellung seiner Erkrankung als Berufskrankheit.
 
Die Berufsgenossenschaft (BG) lehnte seinen Antrag ab. Ihre Begründung: Psychische Erkrankungen wie eine PTBS sind nicht in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt. Eine Klage des Leichenumbetters gegen den Ablehnungsbescheid der BG vor dem SG Potsdam blieb ohne Erfolg, sodass der Kläger mit einer Berufung vor das LSG Berlin-Brandenburg zog.

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LSG Berlin-Brandenburg: Allein die denkbare Möglichkeit einer PTBS nicht ausreichend


Der 21. Senat des LSG Berlin-Brandenburg schloss sich der Auffassung der Vorinstanz an. Dabei schickte der Senat voran, dass eine PTBS nach den aktuellen diagnostischen Kriterien (ICD-11) die Folge eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisse sein muss. Gleiches gilt für ene Reihe von mehreren entsprechenden Ereignissen. Allein die Berufsbezeichnung des Leichenumbetters erfüllt dem Senat zufolge diese Voraussetzung noch nicht. Vielmehr müssten die konkreten Einwirkungen benannt werden. Die weiteren tragenden Erwägungen des Senats:
 
  • Wissenschaftliche Erkenntnisse bei Leichenumbettern unzureichend: Rein aus epidemiologischen Studien können sich keine gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten eines Leichenumbetters und einer PTBS herleiten lassen. Insoweit fehlt es nach Senatsauffassung schon bereits an statistisch relevanten Zahlen zur Berufsgruppe der Leichenumbetter.
  • Ergebnisse aus anderen Studien nicht übertragbar: Auch Ergebnisse aus Studien zu Berufen mit ähnlichen Belastungen – wie zum Beispiel bei Zivil- und Militärbestattern, forensischen Pathologen oder Mitarbeitern von Rettungsdiensten – lassen sich nicht auf die Berufsgruppe der Leichenumbetter übertragen.
  • Auch die denkbare Möglichkeit einer PTBS nicht ausreichend: Auch die bloße Denkbarkeit oder Möglichkeit einer PTBS als „Wie Berufskrankheit“ – etwa durch das langjährige Exhumieren, Bergen und Vermessen von Leichen und Leichenteilen – reicht dem Senat zufolge für eine Anerkennung nicht aus.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: PM des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.05.2023 zum Urteil vom 27.04.2023 – L 21 U 231/19



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Im Wortlaut 
§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII
 
2 Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind.
 
 
§ 9 Absatz 2 SGB VII
 
Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

 
(ESV/bp)