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Cannabismedikamente auf ärztliche Verordnung 
14.12.2023

LSG Berlin-Brandenburg zur medizinischen Versorgung mit Cannabinoiden

ESV-Redaktion Recht
Ist das Leiden des Patienten nicht lebensbedrohlich, muss der behandelnde Arzt bei der Verschreibung von Cannabis-Medizin eine begründete Einschätzung geben (Foto: Africa Studio / stock.adobe.com)
Wann haben Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf eine medizinische Versorgung mit Cannabinoiden? Und was muss der jeweilige behandelnde Arzt bei der Verschreibung beachten? Hiermit hat sich das LSG Berlin-Brandenburg in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss befasst.


In dem Streitfall wollte eine Patientin die Antragsgegnerin, eine gesetzliche Krankenkasse, dazu verpflichten, eine Versorgung mit Dronabinol-Tropfen (THC-Tropfen) zu genehmigen.
 
Die Patientin litt nach der eingereichten ärztlichen Einschätzung und den weiteren Bescheinigungen ihres behandelnden Facharztes für Anästhesiologie, Schmerz- und Psychotherapie unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Fibromyalgie, Morbus Scheuermann der Brustwirbelsäule sowie an einer Arthrose verschiedener Gelenke. Die Krankheit äußert sich vor allem durch drückende Schmerzen der rechten Hand mit Ausstrahlung in den Arm und extremen Schmerzspitzen bei Berührung. Die rechte Hand ist nicht funktionsfähig. Die Patientin ist eingestuft in Pflegegrad 1, schwerbehindert mit einem GdB von 50. Seit 1.10.2022 erhält sie aufgrund ihrer Erkrankung eine Erwerbsminderungsrente.
 
Da die Antragsgegnerin die Genehmigung ablehnte, zog die Patientin ohne Erfolg mit einem Eilantrag vor das SG Potsdam. Gegen die Entscheidung der Ausgangsinstanz wendete sich die Patientin/Antragstellerin in der Folge mit einer Beschwerde an das LSG Berlin-Brandenburg.

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LSG Berlin-Brandenburg: Anspruch auf Versorgung gegeben

Die Beschwerde war im Wesentlichen erfolgreich. Der 1. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hat die Entscheidung der Vorinstanz geändert und die Antragsgegnerin dazu verpflichtet, die Antragstellerin bis zum 7.11.2024, längstens aber bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bei vertragsärztlicher Verordnung mit Dronabinol-Tropfen zu versorgen. Im Übrigen hat der Senat die Beschwerde zurückgewiesen. Nach Auffassung des Senats hat die Antragsgegnerin die Versorgung mit Dronabinol-Tropfen im Kern zu Unrecht abgelehnt. Der Senat begründete seine Entscheidung mit folgenden Erwägungen:
 
Schwerwiegende Erkrankung der Antragstellerin

Gesetzlich versicherte Personen mit schwerwiegenden Erkrankungen haben nach § 31 Abs. 6 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis-Extrakten, wenn entweder keine allgemein anerkannte Leistung zur Verfügung steht oder eine solche – nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes – nicht angewendet werden kann. Zudem muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf schwerwiegende Symptome oder auf den Krankheitsverlauf bestehen. Auf den Fall bezogen nahm der Senat bei der Antragstellerin eine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegende schwerwiegende Erkrankung an, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt.
 
Begründete Einschätzung des behandelnden Arztes

Da die Leiden der Antragstellerin aber nicht lebensbedrohlich sind und es für die Behandlung Standardtherapien gibt, bedurfte es zur Verordnung der THC-Tropfen einer begründeten Einschätzung ihres Arztes. Diese muss folgendes enthalten:
 
  • Krankheitsbeschreibung: Beschreibung der Erkrankungen, die mit Cannabis zu behandeln sind, einschließlich ihrer Symptome und des Behandlungsziels. 
  • Dokumentation des Krankheitszustandes: Eine Dokumentation des Krankheitszustands, die bestehende Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten aufzeigt. Eventuelle Befunde anderer behandelnder Ärzte sind hinzuzuziehen.
  • Angewendete Standardbehandlungen: Eine Beschreibung bereits angewendeter Standardbehandlungen und deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen.
  • Noch mögliche Standardtherapien: Noch verfügbare Standardtherapien und deren Erfolg, der zu erwarten wären – und zwar auch hier in Bezug auf das Behandlungsziel und zu erwartende Nebenwirkungen.
  • Abwägung: Schließlich muss die Einschätzung die Nebenwirkungen einer Standardtherapie mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Cannabis-Therapie gegeneinander abwägen. Hierbei sind nur solche Nebenwirkungen relevant, die das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung haben.
Einschätzungsprärogative des behandelnden Vertragsarztes

Bei seiner Einschätzung hat der betreffende Arzt eine Einschätzungsprärogative. Krankenkassen – aber auch die Gerichte – dürfen die ärztliche Einschätzung also nur darauf überprüfen, ob die Angaben als Abwägungsgrundlage vollständig und inhaltlich nachvollziehbar sind und das Abwägungsergebnis nicht vollkommen unplausibel ist. 
 
Angaben glaubhaft
 
Die Ausführungen des behandelnden Arztes – der die Antragstellerin wiederholt selbst untersuchte – gehen nach Senatsauffassung auf alle relevanten Sachverhalte ein und sind nachvollziehbar. Hinreichend deutlich habe der Mediziner auch dargestellt, dass die schon durchgeführte medikamentöse Standardbehandlung ausgeschöpft wurde. 

Anordnungsgrund

Dem Senat zufolge ist auch ein Anordnungsgrund gegeben – denn der Antragstellerin ist es aufgrund ihrer schweren Erkrankung und dem erheblichen Leidensdruck sowie der hohen Wahrscheinlichkeit, dass ein Versorgungsanspruch besteht, nicht zuzumuten, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. 

Zeitliche Beschränkung des Anspruchs

Der Senat beschränkte den Anspruch der Antragstellerin aber zeitlich prinzpiell auf ein Jahr, weil er für eine Dringlichkeit darüber hinaus keinen Grund sah. Deshalb hat er die Beschwerde der Antragstellerin im Übrigen zurückgewiesen. Bei der Kostenentscheidung ging der Senat dann aber von einem überwiegenden Obsiegen der Antragstellerin aus.
 
Quelle: Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 7.11.2023 – L 1 KR 335/23 B ER


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