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Übergang von Elternunterhalt 
22.11.2024

BSG: Zweistufige Auskunftspflicht von Kindern gegenüber Sozialamt bei Unterhaltsrückgriff

ESV-Redaktion Recht
Übersteigt das Brutto-Jahreseinkommen eines Kindes 100.000 EUR, können etwaige Unterhaltsansprüche der Eltern gegen das Kind auf das Sozialamt übergehen (Foto: gunnar3000 /Stock.adobe.com)
Seit 2020 gehen Unterhaltsansprüche der Eltern gegen ihre erwachsenen Kinder auf die Sozialhilfeträger über, wenn das Jahreseinkommen des jeweiligen Kindes 100.000 EUR brutto übersteigt. Die Kinder müssen dann sowohl mit Ihrem Einkommen als auch mit ihrem Vemögen einstehen. Zugunsten der Kinder vermutet das Gesetz, dass die Einkommensschwelle grundsätzlich nicht überschritten wird. Widerlegt der Sozialhilfeträger diese Vermutung, kann er Auskunft vom unterhaltsverpflichteten Kind verlangen. Ob sich dieser Auskunftsanspruch aber zunächst nur auf das Einkommen beschränkt oder sich auch schon auf das Vermögen erstreckt, ist umstritten. Nun hat das BSG diese Frage entschieden.


In dem Streitfall lebt der Vater des Klägers in einem Seniorenwohnheim. Der zuständige Sozialhilfeträger – der gegenüber dem Vater Hilfe zur Pflege leistet –  erfuhr über das Internet, dass der Kläger als Chief Technology Officer (CTO) einer Digitalagentur arbeitet, die über 100 Mitarbeiter hat und einem Honorarumsatz im hohen siebenstelligen Bereich aufweist. Daraufhin teilte der Sozialhilfeträger dem Kläger mit, dass dessen Bruttoeinkommen nach der Vermutungsregel von § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII voraussichtlich die Grenze von jährlich 100.000 EUR überschreitet. Der Träger verlangte daher Auskunft über Einkommen und Vermögen des Klägers.

Kläger: Einkommensvermutung nicht widerlegt


Der Kläger meint, dass er schon dem Grunde nach nicht auskunftspflichtig ist. Nach seiner Auffassung widerlegen die Informationen des Sozialhifterträgers die benannte gesetzliche Vermutung nicht.

LSG Nordrhein-Westfalen: Auskunftsanspruch zweistufig


Während das SG Köln die Klage abgewiesen hatte, hob das LSG Nordrhein-Westfalen den Auskunftsbescheid des Sozialhilfeträgers auf. Zwar sah das LSG die Vermutungsregel von § 94 Abs. 1a Satz 2 SGB XII infolge der öffentlich zugänglichen Informationen als widerlegt an. Das anschließende Auskunftsverfahren sei jedoch zweistufig:

Im ersten Schritt könne der Sozialhilfeträger lediglich Auskünfte über das Bruttojahreseinkommen des potenziell Unterhaltsverpflichteten verlangen. Erst wenn daraus ersichtlich ist, dass die 100.000-EUR-Schwelle überschritten wird, erweitert sich das Auskunftsrecht auch auf das Vermögen, so das LSG.

Beklagter Sozialhilfeträger: Gestufte Auskunft ergibt sich nicht aus Gesetz


Gegen die Entscheidung des LSG wendet sich der beklagte Sozialhilfeträger mit einer Revision an das BSG. Nach Auffassung des Beklagten lässt sich das gestufte Auskunftsverfahren nicht aus dem Gesetz herleiten. Ist zu vermuten, dass die Einkommensgrenze überschritten wird, erstreckt sich das Auskunftsrecht auch auf das Vermögen.

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BSG: Keine Auskunftspflicht in Bezug auf Vermögen

 
Die Revision des Beklagten Sozialhilfeträgers hatte keinen Erfolg. Der 8. Senat des BSG hat die Revision zurückgewiesen. Demnach hat die Vorinstanz zu Recht angenommen, dass der angegriffene Auskunftsverwaltungsakt die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung zur Einholung von Auskünften gegenüber Angehörigen überschreitet. Die wesentlichen Überlegungen des Senats:

  • Auskunftsverlangen in Bezug auf Jahreseinkommen zwar rechtmäßig: Nach vorläufiger Prüfung der Sachlage lagen aufgrund von erkennbaren Anhaltspunkten aus öffentlichen Quellen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger die Einkommensgrenze von jährlich 100.000 EUR brutto überschreitet, so der Senat hierzu.
  • Aber – Rechtfehler beim Auskunftsverlangen in Bezug auf Vermögen: § 94 Abs. 1a Satz 5 SGB XII ist als maßgebliche Norm – die auf die Auskunftspflichten nach § 117 SGB XII verweist – jedoch so auszulegen, dass die Angehörigen bei hinreichenden Anhaltspunkten für das Überschreiten der obigen Einkommensschwelle im ersten Schritt nur Auskünfte über ihr jährliches Bruttoreinkommen erteilen müssen. Daher war der Verwaltungsakt des beklagten Sozialhilfeträgers, der ganz gezielt auch Auskünfte zum Vermögen verlangte, rechtswidrig. Umfassende Auskünfte auch zum Vermögen müsste der Kläger erst in einem zweiten Schritt erteilen, wenn er die 100.000-EUR-Grenze tatsächlich überschritten hat.
  • Auskunftsverlangen insgesamt rechtwidrig: Eine geltungserhaltende Reduktion des Auskunftsverwaltungsakts, die sich auf das Jahreseinkommen beschränkt, lehnte der Senat ab. Damit ist auch dieser Teil des angegriffenen Auskunftsverlangens gegenstandslos.
Quelle: PM des BSG vom 22.11.2024 zur Entscheidung vom 21.11.2024 –  B 8 SO 5/23 R


ESV-Digital Hauck/Noftz SGB XII - Sozialhilfe


Autoren: Prof. Dr. Johannes Falterbaum, Prof. Dr. Guido Kirchhoff, Prof. Dr. Thomas Klie, Dr. Ines Klinge

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(ESV/bp)