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Rente und Demografie 
27.06.2017

Kaltenstein: „Rente und Demografie - kein apokalyptisches Verhältnis”

ESV-Redaktion Recht
Kaltenstein: Arbeitskräftereservoir der Älteren besser auschöpfen (Foto: aletia2011/Fotolia.com)
Die demografische Abwärtsspirale in Deutschland dient oft als Begründung für einen leistungskürzenden „Umbau” des geltenden Rentenversicherungssystems. Doch ist diese Argumentation berechtigt? Antwort hierauf gibt Dr. Jens Kaltenstein, Richter am Bundessozialgericht in der Fachzeitschrift SGb, Die Sozialgerichtsbarkeit.

Deutschland hat seit mehr als 40 Jahren eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Die Zahl der Sterbefälle ist höher als die der Geburten. Diese Bevölkerungsentwicklung löst vor allem bei den im Bundestag vertretenen Parteien, aber zum Teil auch in der Öffentlichkeit einen scheinbar begründeten Konsens aus, so Kaltenstein einleitend. 

Demografische Zeitbombe?

Oft höre man von der „demografischen Zeitbombe” oder von der „demografischen Katastrophe”. Diese Entwicklung erzwinge einen „Umbau” des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). In der Praxis, so der Autor weiter, führe dies zu Kürzungen bei den Rentenanwartschaften. Vor allem die Senkung des künftigen Rentenniveaus werde als demografische Notwendigkeit ohne Alternative dargestellt und mit dem sogenannten „RentnerQuotienten” begründet.

Kaltenstein: Demografiekrise als Begründung ungeeignet  

Kaltenstein zufolge ist zwar unbestritten, dass die sogenannte „demografische Alterslast” in den letzten Jahrzehnten gestiegen und voraussichtlich auch künftig steigen wird.

Hieraus, so der Autor weiter, könne aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die umlagefinanzierte GRV überfordert sein wird, wenn die bisherige „Unternehmensertragsfinanzierung” beibehalten wird. Das Demografieargument verkenne, dass die Finanzierung der GRV in ihrem Kernsystem der Beschäftigtenversicherung weder vom Zahlenverhältnis der älteren und jüngeren Altersklassen noch von der absoluten Zahl der pflichtversicherten Beschäftigten abhängig ist.

Rentnerquotient 
  • „Demografische Alterslast”: Bereits heute kämen auf einen Rentenempfänger nur noch zwei aktive Versicherte, vor zwei Jahrzehnten habe das Verhältnis zwischen Rentenempfängern und aktiven noch bei 1:2,7 und vor fünfzig Jahren sogar noch 1:6 betragen.

Produktivität schlägt Demografie

Vielmehr hängt die Finanzierung allein von der maßgeblichen beitragsbelasteten Gesamtentgeltsumme der Unternehmen in der jeweiligen Wirtschaftsperiode ab, fährt Kaltenstein fort.

Relevanter Bezugspunkt ist damit der rechtlich beitragsbelastete Arbeitsverdienst, der im Rentenversicherungssystem versichert ist und den allein die Arbeitgeber nach Maßgabe des Beitragssatzes aus ihren Unternehmenserträgen zu entrichten haben. Insoweit spricht Kaltenstein von der Unternehmensertragsfinanzierung.

Für das Finanzierungssystem der GRV wäre somit die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts entscheidend. Diese Größe stehe als Indikator für die Produktivität der Volkswirtschaft und damit für die Lohn- und Gehaltsentwicklungen der jeweiligen Wirtschaftsperiode mit ihrem Beitragsbelastungen.

Allerdings lasse  sich eine Erhöhung der Renten im Hinblick auf deren Entgeltbezogenheit nur dann durch Produktivitätsfortschritt finanzieren, soweit dieser von den Unternehmen über die beitragsbelasteten Löhne und Gehälter an die Arbeitnehmer auch weitergegeben wird. Eine Rentenanpassung nach Maßgabe des Produktivitätsfortschritts ist gesetzlich aber nicht vorgeschrieben. Letztendlich könnte sich die viel beschworene – vermeintliche – „Demografiekrise” und der „apokalyptische Diskurs”, dann doch eher als eine Verteilungskrise zwischen Unternehmern, Beschäftigten, Rentnern und Staat erweisen.

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Längere Lebensarbeitszeit

Angesichts einer alternden Bevölkerung und geänderten Lebenswirklichkeiten ist es, eine ökonomische Notwendigkeit, das „Arbeitskräftereservoir” insbesondere der Älteren mehr als bisher auszuschöpfen. Das heißt, der Gesetzgeber müsse auch bei älteren Beschäftigten auf eine steigende versicherte Erwerbsquote hinwirken. Dies aber aus dem Grund, weil ansonsten vermutlich nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sein werden. Gelingen könne dies aber nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf eine längere versicherte Lebensarbeitszeit einstellen.

Altersgerechte Arbeitswelt: Erforderlich hierfür wäre aber, dass die Arbeitswelt stärker als bisher altersgerecht gestaltet wird. Hierfür müssten aber die folgenden weiteren Voraussetzungen geschaffen werden: 
  • Flexible Arbeitszeiten
  • Einsatz schonender Technlogien
  • Betriebsinterne oder staatlich geförderte Aus-, Fort- und Weiterbildung
  • Verbindliches betriebliches „Gesundheitsmanagement”  
  • Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben
  • Verbesserung der Leistungs- bzw. Beschäftigungsfähigkeitsbereiche der über 55-Jährigen
Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Fachzeitschrift SGb, Die Sozialgerichtsbarkeit, Ausgabe 06/2017

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(ESV/bp)