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Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer 
07.09.2017

Bundessozialgericht zum Richterausschluss bei Gerichtsverfahren wegen Überlänge

ESV-Redaktion Recht
Lange Gerichtsverfahren: Auch das Ergebnis hoher Arbeitsbelastung? (Foto: Lane Erickson/Fotolia.com)
Bei Rechtsstreitigkeiten über Entschädigungen wegen überlanger Gerichtsverfahren kann es häufiger vorkommen, dass Richter bereits in den vorher beanstandeten Verfahren mitgewirkt haben. Doch wann sind diese Richter im anschließenden Entschädigungsrechtsstreit ausgeschlossen? Hierüber hat das Bundessozialgericht aktuell entschieden.

Die Klägerin macht eine Entschädigung wegen eines überlangen Opferentschädigungsverfahrens, kurz Ausgangsverfahren, geltend. Hintergrund war ein jahrelanger sexueller Missbrauch durch ihren Vater, aus dem eine inzwischen verstorbene schwerstbehinderte Tochter hervorging. Das Ausgangsverfahren begann im Februar 2002 vor dem Sozialgericht (SG) Schwerin und endete im April 2008 mit einem teilweise zusprechenden Urteil. Gegen das SG-Urteil legte das beklagte Land allerdings Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg Vorpommern ein.

In dem Berufungsverfahren vor dem 3. Senat des LSG hatte der damalige Vorsitzende W die Eingangsverfügung unterzeichnet. W wurde allerdings wenige Tage später Vorsitzender des 12. LSG-Senats. Dieser Senat ist zuständig für den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren. Das Berufungsurteil von Juni 2013 wurde der Klägerin erst im November 2013 zugestellt. 

Bereits im März 2013 hatte die Klägerin Klage beim 12. Senat des LSG auf Entschädigung für immaterielle Nachteile erhoben. In diesem Verfahren machte die Klägerin 19.200 Euro wegen der überlangen Dauer des Opferentschädigungsverfahrens geltend.

Im Entschädigungsverfahren vor dem 12. Senat wurden die Richter W, G und M wegen einer früheren Mitwirkung im Berufungsverfahren ausgeschlossen. Der 12. Senat hat deshalb in einer Vertretungsbesetzung entschieden und das beklagte Land damals wegen Überlänge des vorherigen Verfahrens zu einer Entschädigung von 2.800 Euro verurteilt. 

Im Überblick - Die einzelnen Verfahren
Ausgangsverfahren: Opferentschädigungsverfahren: SG Schwerin
- Berufungsverfahren: 3. Senat LSG Mecklenburg Vorpommern
- Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer: 12. Senat LSG Mecklenburg Vorpommern
- Revisionverfahren: 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG)

Klägerin: 12. Senat des LSG war fehlerhaft besetzt

Gegen die Entscheidung des 12. Senats des LSG ging die Klägerin in Revision. Ihrer Auffassung nach hätte Richter A ausgeschlossen werden müssen. Als neuer Vorsitzender des 3. Senats im beanstandeten Berufungsverfahren hätte er für eine schnellere Abfassung und Zustellung des Berufungsurteils sorgen müssen. 

W sei hingegen als ehemaliger Vorsitzender des 3. Senats nicht aktiv an der Entscheidung im Berufungsurteil beteiligt gewesen, weil er nur die Eingangsverfügung unterzeichnet hatte. W hätte daher nicht von der Mitwirkung am Entschädigungsrechtsstreit des 12. Senats ausgeschlossen werden dürfen.

Im Wortlaut: § 41 Nr 7 ZPO

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen: (…)

7. in Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren, wenn er in dem beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen   Dauer der Entschädigungsanspruch gestützt wird; (...)

BSG: Jedes vorherige tatsächliche Befassen mit dem beanstandeten Verfahren führt zum Richterausschluss

Die Revision hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) sind Richter im Entschädigungsrechtsstreit wegen überlanger Gerichtsverfahren auszuschließen, wenn ihre Mitwirkung im beanstandeten Verfahren zur Besorgnis einer Mitverursachung der überlangen Verfahrensdauer führen kann. Hierfür reicht grundsätzlich jede tatsächliche Befassung mit der Sache und jedes sachliche Eingreifen gerade in das betreffende Ausgangsverfahren aus.

Die bloße Senatsmitgliedschaft oder der Senatsvorsitz, so das BSG weiter, würde dagegen noch nicht zum Ausschluss führen, wenn sich zum Beispiel die Tätigkeit des Vorsitzenden auf die allgemeine Verfahrensleitung und -verantwortung beschränkt. 

Was daraus folgt - Einschätzung der ESV Redaktion Recht - Assessor. jur. Bernd Preiß

Rolle des W

Nach Auffassung des 10. Senats des BSG wurde Richter W zu Recht ausgeschlossen, weil er die Eingangsverfügung unterzeichnet und Fristen gesetzt hatte. Darin liegt wohl in der Tat ein „tatsächliches Befassen mit der Sache”.

Rolle des A

Die Rolle des A hingegen erschient diffuser. Nach der BSG-Entscheidung wurde Richter A deshalb nicht ausgeschlossen, weil sich dessen Tätigkeit offenbar auf die reinen Aufgaben des Vorsitzenden beschränkt hatte, so die Begründung in der Pressemeldung des BSG vom 07. September 2017. Allein die Übernahme des Vorsitzes im 3. Senat nach der Verkündung des Berufungsurteils im Juni 2013 sei kein Eingreifen in das konkrete Opferentschädigungsverfahren.

Demgegenüber war die Revision der Auffassung, dass A als neuer Vorsitzender des 3. Senats im beanstandeten Berufungsverfahren für eine schnellere Abfassung und Zustellung des Berufungsurteils hätte sorgen müssen. Insoweit bleibt also offen, inwieweit auch ein Unterlassen ein Befassen mit dem Vorverfahren sein kann. 

Zudem hatte der Entschädigungssenat - also der 12. Senat des LSG in einer Vertretungsbesetzung - durch die Berufsrichter Sch als Vorsitzendem sowie die Beisitzer A und C entschieden. Dies ist dem Ende des 4. Absatzes der Pressemitteilung 41/2017 des BSG vom 31.08.2017 zu entnehmen.

Für eine Einordnung der Rolle des A muss daher wohl die Veröffentlichung der kompletten Entscheidung des BSG abgewartet werden. 


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Quelle: PM des BSG vom 07.09.2017 zum Urteil vom selben Tag – AZ: B 10 ÜG 1/16 R

(ESV/bp)