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Sozialleistungen für EU-Bürger in Deutschland 
06.12.2017

Schmallowsky: Gesetzliche Regelung sozialpolitisch verfehlt?

ESV-Redaktion Recht
EuGH: Auswärtige EU-Bürger müssen sechs Monate lang sozialrechtlich wie Innländer behandelt werden. (Foto: Photocreo Bednarek/Fotolia.com)
Die soziale Wohlfahrt in Deutschland bietet auch für EU-Bürger besondere Anreize zur Einwanderung. In der Öffentlichkeit sorgt dies für erhebliche  Diskussionen. Prof. Katrin Schmallowsky und Prof. Thomas Schmallowsky beleuchten diese Sonderproblematik daher in der Fachzeitschrift WzS 11/12 2017.

Die Autoren stellen eingangs fest, dass Deutschland pro Zuwanderer zwischen 2.000 und 4.000 Euro monatlich ausgibt. Dies, so die Autoren, würde den Bundeshaushalt erheblich belasten. Nach einem kurzen Abriss über die Einflussfaktoren auf die Sozialleistungen differenzieren sie zwischen beitragsfinanzierten Entgeltersatzleistungen und steuerfinanzierten Transferleistungen. Da die überwiegende Zahl von Einwanderern keine Beiträge in das Sozialsystem eingezahlt hätte, konzentrieren sich die weiteren Ausführungen des Beitrags auf die Transferleistungen in Form von Sozialleistungen nach § 7 Absatz 2 SGB II (Leistungsberechtigte) sowie auf die Sozialleistungen nach § 23 SGB XII (Sozialhilfe für Ausländerinnen und Ausländer).

Zudem wurde den Autoren zufolge danach differenziert, ob sich die Antragsteller nach dem FreizügG zwecks Arbeitssuche in Deutschland aufhalten oder nur deshalb einreisen, um in den Genuss von Sozialhilfe zu gelangen.

Diskriminierung gegenüber Zuwanderern aus Drittstaaten?

Zwar habe der Gesetzgeber durchaus die Problematik gesehen, dass die Zuwanderer trotz intensiver Bemühungen keine Arbeit finden und in das soziale Sicherungssystem abrutschen. Allerdings sei die alte Regelung des §§ 7 SGB II – die bis einschließlich den 28.12.2016 galt - durchweg kritisch gesehen worden. Diese Norm hatte nämlich EU-Bürger gegenüber Zuwanderern aus Drittländern benachteiligt, soweit deren Ansprüche nach dem AsylbLG durchgesetzt werden konnten.

Hintergrund
Die Norm des §§ 7 SGB II wurde durch Artikel 1 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (GrSiAuslG k.a.Abk.) mit Wirkung zum 29.12.2016 geändert.

Dies hatte die Folge,  dass die Gerichte § 7 SGB II zunehmend europarechtskonform ausgelegt haben. Danach sollten das Unionsrecht und ein daraus folgendes Teilhaberecht dafür sorgen, dass EU-Bürger wesentlich besser gestellt werden als Zuwanderer aus Drittstaaten.

Was die Gerichte sagen

Im Anschluss hieran skizzieren die Verfasser eingehend die Rechtsprechung der Instanzgerichte, der Landessozialgerichte und die des Bundessozialgerichts. Ebenso widmen sie sich ausführlich der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): 
  • Als die bis dahin wichtigste Erkenntnis stellen sie heraus, dass Differenzierungen nur möglich wären, soweit zwischen unterschiedlichen Gruppen ein signifikant abweichender Bedarf an existenznotwendigen Leistungen bestünde. Insoweit verweisen die Verfasser auf die Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 (AZ:  BvL 10/10).
  • Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe dieses im Wesentlichen bestätigt.

Fall „Alimanovic” als Auslöser für Änderung von § 7 SGB II

Einer der Auslöser für die Änderung von § 7 SGB II war der Fall „Alimanovic”, der letztlich vor dem EuGH verhandelt wurde – vgl. hierzu Urteil des EuGH vom 15.09.2015, AZ: C‑67/14. Hierbei ging es um eine Familie aus Schweden, die nach Berlin gezogen und deren zwei Kinder in Deutschland geboren wurden. Zunächst abhängig beschäftigt, wurden die Familienmitglieder in der Folgezeit arbeitslos. Letztlich mit der Folge, dass Leistungen nach ALG II eingestellt wurden.

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EuGH: Sechs Monate sozialrechtliche Gleichbehandlung

Der EuGH meinte hierzu, dass die Mitgliedstaaten Unionsbürger zwar auch dann von beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausschließen dürfen, wenn diese arbeitssuchend sind und aufgrund der Arbeitssuche ein Aufenthaltsrecht haben. Allerdings, so die Luxemburger Richter weiter, wäre innerhalb von sechs Monaten nach der letzten Beschäftigung eine sozialrechtliche Gleichbehandlung geboten. Anschließend könnten jegliche Sozialleistungen nach Art. 24 Absatz 2 der Unionsbürgerrichtlinie durch die Mitgliedstaaten verweigert werden. 

Die Bundesregierung sah sich nun wegen der Befürchtung weiterer Ansprüche dazu gezwungen, einzuschreiten und auch die uneinheitliche Rechtsprechung zu glätten:
  • Nach der Neuregelung des §§ 7 SGB II erhalten nur solche EU-Ausländer, die seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, uneingeschränkte Leistungen des Sozialstaats.
  • Bis dahin bekommen diese lediglich Überbrückungsleistungen bis zu ihrer Ausreise, sowie einen Vorschuss zu den Rückreisekosten als Darlehen. Damit soll sichergestellt werden, dass die betroffenen EU-Bürger grundsätzlich die Sozialhilfesysteme ihrer Heimatländer in Anspruch nehmen.

Neuregelung rechtskonform?

Aus Sicht der internationalen Regelungen würde sich jedoch eher ein Anspruch auf Leistungen in Deutschland verfestigen, meinen die Verfasser. Allen voran verbiete Art. 12 EGV jegliche Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Warum die Autoren die aktuelle Regelung des § 7 SGB II
  • als verfassungswidrig ansehen
  • und auch aus ethischer Sicht anzweifeln,
lesen Sie in der Fachzeitschrift WzS Ausgabe 11/12/2017. Dort beleuchten sie auch die teilweise uneinheitliche Rechtsprechung ausführlich und stellen alte und neue Rechtslage gegenüber.

Vereint, was zusammengehört

ZESAR: Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht 

Herausgeber:
Prof. Dr. Ulrich Becker, Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer, Prof. Dr. Maximilian Fuchs, Prof. Dr. Franz Marhold, Prof. Dr. Hartmut Oetker, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Preis, Prof. Dr. Reinhard Resch, Prof. Dr. Gregor Thüsing, Ilka Wölfle.

In der Fachzeitschrift finden Sie ohne aufwändige Recherche zentral alle einschlägigen Informationen. Die Zeitschrift vereint, was in Praxis und Wissenschaft zusammen gehört: das Sozial- und Arbeitsrecht einerseits sowie nationales und europäisches Recht andererseits.

Auch die Fälle mit Auslandsbezug nehmen stetig zu. Das bringt in Ihrer täglichen Praxis viele Fragen mit sich, zum Beispiel:
  • Welche Rechtsprechung ist zu berücksichtigen?
  • Wann verdrängt EU-Recht nationales Recht?


(ESV/bp)