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Gesetzliche Unfallversicherung 
02.02.2018

BSG: Glatteistest ist nicht gesetzlich unfallversichert

ESV-Redaktion Recht
BSG: Keine Rechtspflicht, die Staße vor Fahrtantritt auf Eisglätte hin zu überprüfen (Foto: ruzi/Fotolia.com)
Wer vor Antritt seiner Fahrt zur Arbeit testet, ob die Straße glatt ist, ist gut beraten - sollte man meinen. Ob diese Idee wirklich immer so gut ist, muss angesichts einer aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichts jedoch bezweifelt werden.

In dem betreffenden Fall hatte ein Arbeitnehmer vor seiner Fahrt zur Arbeit testen wollen, ob die Straße glatt ist. Dabei legte er zunächst die Arbeitstasche auf sein Auto, das auf seinem Grundstück parkte und ging wenige Meter auf die öffentliche Straße, um dort die Fahrbahnverhältnisse zu prüfen. Auf dem Rückweg zum Auto stürzte er an der Bordsteinkante und verletzte sich am rechten Arm. Grund für den Fahrbahntest war eine Meldung des Deutschen Wetterdienstes. Danach war über Nacht mit überfrierender Nässe oder leichtem Schneefall zu rechnen.

Beklagte: Schritte zur Straße sind Privatvergnügen

Die beklagte Landesunfallkasse erkannte diesen Vorgang nicht als Arbeitsunfall im Sinne eines Wegunfalls an. Der Arbeitnehmer habe sich ja bei dem Sturz nicht auf dem direkten im Sinne von § 8 SGB Absatz 2 VII Arbeitsweg befunden, so die Beklagte. Danach war der Abstecher zur Straße deshalb nicht notwendig, weil der Kläger auf diese Weise nicht herausfinden könne, wie der Fahrbahnzustand auf dem gesamten Arbeitsweg sei. Die paar Schritte zur Straße wären somit dessen Privatvergnügen im rechtlichen Sinne.

Im Wortlaut: § 8 SGB VII - Arbeitsunfall
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

 (2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
 1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, (...)

 
Im Wortlaut: § 1 StVO - Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

BSG: Vorbereitungshandlungen nicht versichert

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) schloss sich der Auffassung der Beklagten an. Danach war der unmittelbare und damit versicherte Weg zur Arbeitsstätte bereits zu dem Zeitpunkt unterbrochen, an dem der Kläger die Straße betreten hatte.

Die Prüfung der Fahrbahnverhältnisse sei lediglich eine Vorbereitungshandlung zum versicherten Arbeitsweg. Vorbereitungshandlungen wären nach ständiger Rechtsprechung nur versichert, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt:
  • Rechtspflicht: Entweder müsse Rechtspflicht bestehen, die betreffende Handlung vorzunehmen;
  • Erforderlichkeit: Oder die Handlung müsse zur Beseitigung eines unvorhergesehenen Hindernisses erforderlich sein, um den Arbeitsweg aufzunehmen oder fortzusetzen.
Dem Senat zufolge war keine der Alternativen hier erfüllt. Zwar habe der Kläger die Prüfung durchaus als sinnvoll oder erforderlich ansehen dürfen. Allerdings sei diese weder durch die Straßenverkehrsordnung geboten noch für den Antritt der Fahrt unverzichtbar gewesen.

Quelle: PM des BSG vom 23.01.2018 zum Urteil vom selben Tag - AZ: B 2 U 3/16 R.
 
Standpunkt - Ass. jur. Bernd Preiß (ESV-Redaktion Recht)
  • Wortlautgetreue Auslegung: Die Entscheidung mag wohl dem Wortlaut von § 8 Absatz 2 SGB VII entsprechen, weil dort in der Tat von dem unmittelbaren Weg die Rede ist, der im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen muss.
  • Eigenwirtschaftliche Tätigkeit? Fraglich ist aber, ob diese Auslegung dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht. Üblicherweise erfolgt die Einordnung als Wegeunfall danach, ob eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit vorliegt - wie zum Beispiel Einkaufen. Eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit würde den Versicherungsschutz unterbrechen, weil sie keinerlei Bezug mehr zur betrieblichen Tätigkeit des Arbeitnehmers hat. Der Kläger wollte aber seine Fahrt zur Arbeitsstätte absichern. Darin ist kein eigenwirtschaftlicher Zweck zu erkennen. Dass die besondere Umsicht des Klägers vom Normzweck erfasst sein soll, könnte sich zudem aus einer Gesamtschau von § 8 SGB VII mit § 1 StVO ergeben. 
  • Glatteistest hat unbestreitbar Warnfunktion: Die Argumentation der Landesunfallkasse, wonach der Test deshalb nicht notwendig gewesen wäre, weil dieser keine Rückschlüsse auf den Zustand des gesamten Arbeitswegs zulasse, ist nicht nachvollziehbar. Ein Positivtest hätte eine immense Warnfunktion und würde jeden durchschnittllich verständigen und vernünftig denkenden Fahrzeugführer zu einer angepassten Fahrweise veranlassen. Zudem kann es kaum dem Normzweck von § 8 SGB VII entsprechen, dass eine besondere Umsicht den Versicherungsschutz ausschließen soll. 
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(ESV/bp)