Cremer: „Bezug von Sozialleistungen ist kein Armutsindikator“
„Neue Armut ist Erfindung des sozialistischen Jetsets!” Mit diesem Zitat von Helmut Kohl – laut Magazin „Stern“ vom 24.07.1986 (Seite 6) – eröffnet Cremer seinen Beitrag. Nach dieser Lesart gibt es deshalb keine Armut, weil der Staat Sozialhilfe leistet. Allerdings will Cremer hiermit nur verdeutlichen, wie sich die Debattenlage in der Zwischenzeit geändert hat. Gleichzeitig stellt er die Frage, wie Armut in einem reichen Land definiert werden soll.
Relative Armut
Dabei stößt Cremer sofort auf den Begriff der relativen Armut. Hierunter fallen Personen, die über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Land, in dem sie leben, als Minimum angesehen wird. Allerdings müssten noch weitere Faktoren der Lebenslage des betroffenen Personenkreises erfragt werden. Als Grundorientierung innerhalb der EU gelte Folgendes:- Arm ist danach derjenige, der in dem jeweiligen EU-Land weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Die Grenze, so Cremer weiter, würde aber zwischen 40 und 60 Prozent variieren.
- In Deutschland sei die Armutsquote zwar niedriger als im EU-Durchschnitt aber höher als in Skandinavien oder den Niederlanden.
Hauptrisikogruppen für Armut
Die Personenkreise, die ein höheres Armutsrisiko tragen, teilt der Autor dann in folgende Gruppen ein:- Gering qualifizierte Personen
- Alleinerziehende
- Personen ohne kontinuierliche Erwerbsbiografie
- Familien mit drei oder mehr Kindern
- Migranten
Bundeseinheitliche Armutsrisikoschwelle nicht aussagekräftig
Cremer kritisiert die bundeseinheitliche Armutsschwelle, die regionale Unterschiede nicht berücksichtigt. Regionale Unterschiede würden sich aber deutlich relativieren, wenn man das Mietpreisgefälle mit einbeziehen würde.Hartz IV erklärt wachsendes Armutsrisiko nicht
Zur Entwicklung des Armutsrisikos seit der Wiedervereinigung weist Cremer zunächst auf einen leichten Rückgang durch Rentenerhöhungen hin. Anschließend sei dieses Risiko jedoch leicht angestiegen durch Öffnung der Wirtschaftsräume in Osteuropa sowie dem damit verbundenem Lohn-und Wettbewerbsdruck. Der Gesetzgeber habe hierauf mit der Agenda 2010 regiert und durchaus beschäftigungspolitische Erfolge erzielt, allerdings um den Preis sinkender Löhne. Hierbei wiederum hätten steuerliche Entlastungen mittlerer und höherer Einkommen zu einer höheren Ungleichheit geführt.Öffnet sich die Schere weiter?
Die Einkommensungleichheit im Vergleich zu 1995 und 2000 habe zwar deutlich zu genommen. Entgegen der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung hält Cremer den Trend aber für gestoppt. So sieht er gewisse Sorgen zwar als berechtigt an. Er warnt aber vor irrationalen Ängsten und hält diese für unbegründet.Transferbezug kein Armutsindikator
Im Anschluss hieran widmet sich der Verfasser dem Thema Grundsicherung und Hartz IV. Beide Sicherungssysteme würden oft als zusätzliche Armutsindikatoren benannt. Gleichwohl hält er deren schlechten Ruf für unbegründet und meint, dass diese Systeme nicht diskreditiert, sondern weiterentwickelt werden sollten. Gewisse Inkonsistenzen wären allerdings abzubauen, was er an folgenden Beispielen illustriert:- Kosten für Haushaltsstrom: Eine Korrektur würde den Regelbedarf von Alleinstehenden um 60 Euro erhöhen. Insoweit beruft sich Cremer auf den Caritasverband.
- Flexibiltätsreserven: Zudem hält er eine Einführung von Flexibilitätsreserven um fünf Prozent für notwendig
Politik der kleinen Schritte
Er schließt mit dem Hinweis auf das Politikideal von Popper. Danach kann auch Sozialpolitik nur Stückwerk der reformerischen Alltagsarbeit sein. Ohne diese kleinen Schritte zäher Reformen könne Politik nicht vorankommen.Kernthesen von Georg Cremer: Fachzeitschrift SGb, Ausgabe 02-2018 |
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SGb Die SozialgerichtsbarkeitHerausgeber: Prof. Dr. Peter Axer und Prof. Dr. Peter Becker Differenziert, kritisch und aktuell begleitet die SGb den Austausch zwischen lösungsorientierter Rechtsanwendung und innovativer sozialrechtlicher Forschung. Seit über 60 Jahren ist sie einer der profiliertesten Impulsgeber ihres Fachs. Erstklassige Informationsangebote über das gesamte Spektrum des Sozialrechts und seiner vielseitigen juristischen Anwendungsbereiche. Sie finden jeden Monat:
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