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Verfassungsmäßigkeit von Alternativen zum Widerspruchsystem bei Organspenden 
06.02.2019

Organmangel: Bonus-System als Lösung?

ESV-Redaktion Recht
Noch gilt bei der Organspende die Entscheidungslösung (Foto: shootingankauf/Fotolia.com)
Der Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organspende 2017 hat nicht nur die Widerspruchslösung beflügelt. Wachsenden Zulauf erfährt auch ein Bonus-System, das zur Organspende bereite Personen bevorzugen soll. Ein Anlass für Annabel Joschko, in der Fachzeitschrift WzS die Alternativen zur gegenwärtigen Entscheidungslösung rechtlich zu bewerten.

Aus dem Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organspende geht hervor, dass 2017 etwa 10.000 schwerkranke Menschen eine Organtranspantation benötigt hätten. Dem standen aber nur 797 Menschen gegenüber, die ihre Organe nach dem Tod gespendet hatten. Dementsprechend suchen Politik und Gesellschaft nach Auswegen aus dieser Misere.

Aktuelle Rechtslage: Entscheidungslösung

Gegenwärtig, so Joschko, gilt die sogenannte Entscheidungslösung. Diese wird durch das Transplantationsgesetz (TPG) in seinem zweiten Abschnitt wie folgt geregelt:
  • Einwilligung: Nach § 3 Absatz 1 TPG ist eine Entnahme von Organen – unter Beachtung weiterer Voraussetzungen – dann zulässig, wenn der Spender zu Lebzeiten in diese eingewilligt hat.
  • Widerspruch: Korrelierend dazu besagt § 3 Absatz 2 TPG, dass eine Entnahme unzulässig ist, wenn die betreffende Person der Organ- oder Gewebeentnahme widersprochen hat.
  • Entscheidung durch nächste Angehörige: Liegen weder eine schriftliche Einwilligung noch ein schriftlicher Widerspruch des möglichen Organspenders vor, ist eine Entnahme auch durch Zustimmung des nächsten Angehörigen möglich.
Hatte die betreffende Person nicht eingewilligt oder kein nächster Angehöriger zugestimmt, dürfen Organe und Gewebe der betroffenen Person nach aktueller Rechtslage nicht entnommen werden. 

Zur Person
Annabel Joschko, Mag. iur., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn.

Diskutierte Lösungen

Widerspruchslösung

Um Abhilfe zu schaffen, diskutiert die Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren die sogenannte Widerspruchslösung. Diese Lösung hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wiederbelebt und möchte sie in Deutschland einführen. Nach dieser Lösung wäre jeder, der nach Aufklärung nicht ausdrücklich widerspricht, ein Organspender.

Bonus-System


Weiteren Zulauf in der Debatte erfährt aber vor allem ein Bonus-System: Nach diesem sollen Personen, die zur Organspende bereit sind, bevorzugt Organe erhalten. Demgegenüber sollen alle nicht zur Spende bereiten Personen nachrangig mit Organen versorgt werden.

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Beide Alternativ-Lösungen verfassungswidrig

Joschko hält beide Lösungen für verfassungsrechtlich nicht haltbar. So sieht sie in der Widerspruchslösung einen unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Betroffen, wäre vor allem das Recht des Einzelnen, sich mit Fragen, die seine körperliche Integrität betreffen, nicht auseinandersetzen zu müssen. 

Das Bonus-System sieht Joschko noch kritischer. Hier geht es ihr vor allem um den staatlich ausgeübten psychischen Druck, im Ernstfall ein möglicherweise lebensnotwendiges Organ zu spenden, weil ansonsten die Zuweisung eines von ihm benötigten Organs an einen anderen Patienten erfolgen könne, der zur Spende bereit wäre.

Lesen Sie in der WzS Ausgabe 02/2019 warum das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über seine körperliche Integrität ein kardinales Verfassungsgut darstellt, das Joschko zufolge auch andere Bereiche betrifft, wie zum Beispiel:
  • die körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Absatz 2 GG,
  • das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 in Verbindung  mit  Art. 1 Abs. 1 GG,
  • die Menschenwürde nach Art. 1 Absatz 1 Satz 1 GG,
  • sowie den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG,
  • warum, das Bonus-System Joschko zufolge den Einzelnen zum bloßen Objekt einer „Organ-Bank“ degradieren kann
  • und das System dem Betroffenen die Möglichkeit einschränkt, sich differenziert mit dem Thema auseinanderzusetzen.
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(ESV/bp)