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Genehmigungsfiktion bei beantragten Kassenleistungen 
16.06.2020

BSG: Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion bei beantragten Kassenleistungen geändert

ESV-Redaktion Recht
BSG: Genehmigungsfiktion begründet nur einen Kostenersatzanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse (Foto: Lothar Drechsel und Ulrich Zillmann / stock.adobe.com)
Versäumt eine Krankenkasse bei der Beantragung von Leistungen bestimmte Fristen, gilt die beantragte Leistung als genehmigt. Begründet diese Genehmigungsfiktion nun auch einen eigenständigen Versorgungsanspruch auf die beantragte Leistung? Hierüber hat das BSG kürzlich entschieden und dabei seine bisherige Rechtsposition aufgegeben.


In dem Streitfall beantragte der behandelnde Arzt des Klägers bei der beklagten AOK Rheinland-Pfalz/Saarland am 24.2.2016 die Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra – und zwar außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Use). Das Medikament sollte zur Behandlung der Gangstörung des Klägers eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine zerebellare Ataxie bei kernspintomographisch nachgewiesener Kleinhirnatrophie. Vorher hatte ein  Therapieversuch – aufgrund einer privatärztlichen Verordnung – die Gangstörung deutlich verbessert. Daraufhin verlangte der Kläger die künftige Versorgung auf Rezept. 

Zugelassen ist das Medikament Fampyra aber nur zur Behandlung von Gangstörungen bei Multipler Sklerose. Daher holte die beklagte AOK ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dies teilte sie dem Kläger mit Schreiben vom 26.2.2016 mit. Mit Bescheid vom 17.5.2020 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung dann ab. Die Begründung: Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use würden nicht vorliegen. Hierbei stützte sie sich auf das MDAK-Gutachten. Den Grund, warum die Beklagte über die beantragte Versorgung erst nach dem Ablauf der Fünfwochenfrist nach § 13 Absatz 3a Satz 1 SGB V entschieden hat, teilte sie dem Kläger zu keinem Zeitpunkt mit.    

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Vorinstanzen: Kläger hat Anspruch auf Verordnung mit Fampyra

Gegen die Ablehnung wendete sich der Versicherte mit einer Klage. Die Vorinstanzen – das SG Speyer und das LSG Rheinland-Pfalz – haben die Beklagte dazu verurteilt, den Kläger entsprechend der ärztlicher Verordnung mit Fampyra zu versorgen. Danach hat der Kläger aufgrund der Genehmigungsfiktion nach § 13 Absatz 3a Satz 5 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit Fampyra. Die beiden Vorinstanzen begründeten Ihre Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass die Beklagte über den Versorgungsantrag nicht innerhalb der Frist von fünf Wochen entschieden hatte. Zudem durfte der Kläger die Versorgung mit Fampyra aufgrund der Stellungnahme seines Arztes für erforderlich halten.

Im Wortlaut: § 13 SGB V Kostenerstattung - Auszug
(3a) 1Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. 2 Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (…) 5 Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. 6 Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt.


BSG: Genehmigungsfiktion gibt nur Anspruch auf Kostenersatz

Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten Krankenkasse hatte zum Teil Erfolg. Der 1. Senat des BSG hat die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die wesentlichen Erwägungen des Senats:

  • Kein eigenständiger Leistungsanspruch auf künftige Versorgung: Nach Auffassung des Senats hat der Kläger nur aufgrund der Genehmigungsfiktion noch keinen eigenständigen Leistungsanspruch auf die Versorgung mit Fampyra. Diese Fiktion, so der Senat weiter, hat nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes.
  • Fiktion vermittelt nur vorläufige Rechtsposition: Vielmehr vermittelt sie dem Versicherten nur eine vorläufige Rechtsposition. Aufgrund dieser darf er zwar die beantragte Leistung selbst beschaffen und Kostenersatz verlangen, solange er gutgläubig ist. Dies betrifft allerdings nicht den künftigen Versorgungsanspruch. Insoweit ist die Krankenkasse (KK) weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren zu beenden.
  • Aber - KK trägt Risiko des Kostenersatzes: Bis zur Entscheidung trägt die KK aber das Risiko des Kostenersatzes aufgrund der Genehmigungsfiktion. Das danach begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Kasse hat der Versicherte dem Senat zufolge auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, solange er nicht bösgläubig ist.  

Änderung der ursprünglichen Rechtsprechung des 1. Senats des BSG


Der Kläger kann kann also nicht die Aufhebung des Ablehnungsbescheides mit der Begründung verlangen, dass eine Genehmigungsfiktion wirkt. Vor allem insoweit hatte der Senat seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Seine Haltung leitet er im Wesentlichen aus den

  • Gesetzgebungsmaterialien,
  • aus den Grundsätzen der Verfahrensbeschleunigung,
  • sowie aus den Sanktionen für die Nichteinhaltung der Fristen für die Krankenkassen her.


Zurückverweisung an Berufungsinstanz 

Offen blieb aber die Frage, ob der Versorgungsanspruch nicht doch nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen zum Off-Label-Use begründet ist. Hierzu hatte die Berufungsinstanz – aus ihrer Sicht folgerichtig – keine Feststellungen getroffen. Deshalb hat der Senat die Sache dorthin zurückverwiesen.


Ausblick

Künftig werden die Versicherten bei den Ansprüchen gegen Ihre KK genauer unterscheiden müssen zwischen

  • dem Kostenersatz aus der Genehmigungsfiktion, der sich vom Grunde her zeitlich auf die Entscheidungsphase über die beantragte Versorgung beschränkt 
  • und der grundsätzlichen Versorgung, die auf die Zukunft gerichtet ist. 

Quellen:


  • PM des BSG vom 28.5.2020 zum Urteil vom 26.5.2020 – B 111 KR 9/18 R
  • Terminbericht 19/20 vom 26.5.2020 zur Sitzung des 1. Senats des BSG

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(ESV/bp)