Dauert ein Gerichtsverfahren zu lange, kann dies Entschädigungsansprüche auslösen. Doch welche Umstände sind überhaupt entschädigungspflichtig? In einem aktuellen Fall vor dem BSG stritten die Parteien vor allem über Zeiten, in denen der Vorsitzende des Ausgangsverfahrens länger erkrankt war.
In dem Ausgangsfall stritt der Kläger vor dem SG Berlin mit der Bundesagentur für Arbeit über den Erlass einer Darlehensschuld. Weil dieses Verfahren viereinhalb Jahre lang dauerte, verlangte der Kläger vom Land Berlin eine Geldentschädigung für immaterielle Nachteile. Die lange Verfahrensdauer war unter anderem auf erhebliche Krankheitszeiten des zunächst zuständigen Kammervorsitzenden zurückzuführen. Darüber hinaus hatte das Entschädigungsgericht dem Ausgangsgericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten eingeräumt.
Kläger: Ausgangsverfahren war schon nach acht Monaten entscheidungsreif
Nach Auffassung des Klägers wäre dieses Klageverfahren schon nach acht Monaten entscheidungsreif gewesen. Darüber hinaus meint der Kläger, dass sich Erkrankungen von Richtern nicht zulasten der Beteiligten auswirken dürften. Für die hierdurch verursachten Verzögerungen ist der Staat vollständig in der Haftung, so der Kläger weiter, der eine Entschädigung von insgesamt 4.700 Euro einforderte. Das beklagte Land Berlin hatte dem Kläger für die überlange Dauer vorprozessual eine Entschädigung von 1.200 Euro zugestanden und auch gezahlt. Da dem Kläger dies zu wenig war, verfolgte er seinen Anspruch gerichtlich weiter.
Entschädigungsgericht: Erkrankung des Kammervorsitzenden des Ausgangsgerichts war höhere Gewalt
Das Entschädigungsgericht verurteilte den Beklagten dann zu einer weiteren Zahlung von 1.300 Euro. Hierbei wertete es unter anderem drei Monate der gerichtlichen Untätigkeit im Ausgangsverfahren pauschal als nicht entschädigungspflichtig. Demnach ist die Erkrankung des zuständigen Kammervorsitzenden ein Fall höherer Gewalt. Da der Kläger weiterhin höher entschädigt werden wollte, zog er mit einer Revision vor das BSG.
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BSG: Staat hat für hinreichende personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte zu sorgen
Die Revision des Klägers hatte wenigstens teilweise Erfolg: Der 10. Senat des BSG hält eine weitere Entschädigung von 300 Euro für angemessen. Damit erhält der Kläger jetzt insgesamt 2.800 Euro Entschädigung für seinen immateriellen Schaden gegenüber seiner verlangten 4.700 Euro.
Dem Senat zufolge hat der Staat gegenüber dem Bürger, der sein Recht sucht, für eine hinreichende personelle und sachliche Ausstattung der Justiz zu sorgen. Davon umfasst sind auch personelle Vorkehrungen für längere Erkrankungen von Richtern und Ausfallzeiten, wie etwa
- durch eine wirksame Vertretung
- und ggf. durch eine schnelle Reaktion, etwa durch Umverteilung der Geschäfte.
Dies gilt nach Meinung des Senats aber nur für längere Ausfallzeiten und nicht für kurzfristige Terminverschiebungen aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit eines Richters. Nach diesen Maßstäben wären drei weitere Monate als entschädigungspflichtig anzusetzen gewesen, so der Senat weiter. Die Verzögerung eines Verfahrens wegen einer längeren Erkrankung des zuständigen Richters ist also kein Fall höherer Gewalt.
Quelle: PM des BSG vom 24.03.2022 zur Entscheidung vom selben Tag – B 10 ÜG 2/20 R
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(ESV/bp)