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Cannabis als Medizin 
21.04.2022

LSG Baden-Württemberg lehnt Versorgung mit Cannabisblüten zur Behandlung von ADHS ab

ESV-Redaktion Recht
LSG Baden-Württemberg: Anspruch auf Versorgung mit Cannabis setzt schwerwiegende Krankheit voraus (Foto: EKKAPON / stock.adobe.com)
Unter bestimmten Voraussetzungen haben Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen KV einen Anspruch auf Versorgung mit Extrakten aus Cannabis-Blüten. Mit der Frage, ob dies auch für Personen gilt, die unter ADHS leiden, hat sich das LSG Baden-Württemberg kürzlich befasst. 


In dem Streitfall leidet der 36-jährige Kläger – der gesetzlich krankenversichert ist – schon seit seiner Kindheit an ADHS. Die übliche Behandlung mit Ritalin beendete er im Alter von 13 Jahren. Stattdessen raucht er Cannabis. Rund sieben Jahre später beantragte er bei seiner Krankenkasse (KK) die Übernahme der Kosten für eine Cannabis-Blüten-Behandlung.
 

Kläger: Behandlung mit Cannabis aus nervenärztlicher Sicht erforderlich

Der behandelnde Psychiater des Klägers führte hierzu in einer beigefügten Stellungnahme aus, dass mit den Cannabis-Blüten sowohl die Krankheit ADHS als auch eine mittlere Depression behandelt werden sollten. Demnach ist die Krankheit des Klägers schwerwiegend und ohne die schon bisher durchgeführte Therapie mit Cannabis könne der Kläger seinen Alltag nicht bewältigen. Parallel werde er mit einer Gesprächstherapie behandelt. Nach den weiteren Ausführungen des Psychiaters hat der Kläger aufgrund der Zwangseinnahme von Ritalin eine Tablettenphobie entwickelt. Daher befürworte er aus nervenärztlicher Sicht die Behandlung mit Cannabis. Ein Problem wäre aber die Illegalität des Cannabis-Konsums in Verbindung mit den hohen Beschaffungskosten.

Krankenkasse des Klägers: Cannabis eignet sich nicht zur Behandlung von ADHS 

Die Krankenkasse des Klägers lehnte seinen Antrag auf Übernahme der Kosten ab. Sie berief sich auf ein Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Demzufolge liegt schon keine schwerwiegende Erkrankung vor und nach der aktuellen, interdisziplinären S3-Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ eigne sich Cannabis nicht zur Behandlung von ADHS. Vielmehr stünden weitere psychopharmakologische und -therapeutische Therapien zur Verfügung. Da sowohl der Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme und eine Klage hiergegen ohne Erfolg bleiben, rief der Kläger das LSG Baden-Württemberg an.

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LSG Baden-Württemberg: ADHS ist keine „schwerwiegende“ Krankheit

Auch der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg folgte der Ansicht des Klägers nicht: Demnach hat dieser keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis-Blüten. Die tragenden Gründe des Senats:
 
  • Keine schwerwiegende Krankheit: Beim Kläger liegt schon keine schwerwiegende Erkrankung vor. Dieser Begriff erfasst nur Krankheiten, die sich aufgrund ihres Schweregrades vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Diese müssten also entweder lebensbedrohlich sein oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen sah der Senat nicht als gegeben an. Der behandelnde Psychiater hatte das Auftreten des Klägers als adäquat, ruhig und reflektiert bewertet – und zwar ohne nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität.  
  • Alternativen möglich: Darüber hinaus gibt es dem Senat zufolge allgemein anerkannte alternative Möglichkeiten zur Behandlung von ADHS und Depressionen, die dem medizinischen Standard entsprechen. Hierzu zählen etwa Psychopharmaka und Psychotherapien. Auch die behandelnden Fachärzte des Klägers hätten nicht vorgetragen, dass es keine Alternativen geben würde.
  • Tablettenphobie ungeklärt: Ob der Kläger unter einer Tablettenphobie leidet, wurde nach Senatsauffassung offenbar nicht fachärztlich überprüft. Darüber hinaus ist die Frage offen, ob die psychischen Probleme des Klägers im Zusammenhang mit der Tabletteneinnahme über Psycho- oder Verhaltenstherapien behandelbar wären.
  • Frage der Sucht ebenso offen: Ebenso wenig ist der behandelnde Arzt der Frage nachgegangen, ob beim Kläger nach mehr als 20 Jahren Cannabiskonsum eine Sucht vorliegen könnte, die eine Behandlung mit Cannabis ausschließen würde. Die erforderliche „begründete Einschätzung“ des behandelnden Arztes liege somit nicht vor. 
Ob der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis auch daran scheitert, dass die gesundheitlichen Risiken von Cannabis den Nutzen zur Minderung von ADHS überwiegen, konnten die Richter aus Stuttgart offenlassen. Gleiches gilt für den Aspekt, ob die Behandlung mit Cannabis eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf eröffnet.

Quelle: PM des LSG Baden-Württemberg vom 12.04.2022 zum Urteil vom 22.03.2022 – L 11 KR 3804/21

Im Wortlaut: § 31 Absatz 6 SGB V – Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung (Auszug) 
(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
 
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder
 
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
 
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.



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(ESV/bp)